Revolutionär wird es heute in doppelter Hinsicht, denn in dieser Podcast-Folge stellen wir nicht die Geschichte eines klassischen Onlineshops vor, stattdessen geht es um ein Buch. "Starting a Revolution - Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können" wurde von den beiden Gründerinnen Naomi Ryland und Lisa Jasper geschrieben. Die 10-jährige Freundschaft der beiden Frauen fand ihren Anfang in der gemeinsamen Arbeit bei der Entwicklungsorganisation Oxfam. Jetzt brachten Naomi, Gründerin des Unternehmens tbd*, und Lisa, Gründerin von FOLKDAYS, ein Buch heraus, in dem sie nicht nur über ihre eigenen Erfahrungen berichten, sondern auch sieben weitere erfolgreiche Business-Frauen zu Wort kommen lassen.
Über Kritik am eigenen Führungsstil, Hindernisse als Gründerin und einer notwendigen Systemänderung in der Arbeitswelt sprechen die beiden in dieser Folge.
Die komplette Transkription dieser Folge findest du hier.
Show Notes
- Store: Starting a Revolution
- Social Media: Instagram
Mitspielen oder aussteigen: Der Ausbruch aus alten Rollenbildern
Naomi Ryland und Lisa Jaspers - Gründerinnen und Autorinnen von "Starting a Revolution"
Lisa Jaspers: Ich bin Lisa Jaspers, ich bin Gründerin von FOLKDAYS und wir sind ein Fairtrade Label, was sich zum Ziel gesetzt hat, die „Eine Welt Laden“-Bewegung für eine jüngere, digitalere und viel designaffinere Zielgruppe attraktiv zu. Das heißt, wir arbeiten mit kleinen kunsthandwerklichen Betrieben aus dem Globalen Süden zusammen und entwickeln wunderschöne Produkte, die wir hier in Deutschland oder Europa vertreiben.
Naomi Ryland: Hi! Ich bin auch Gründerin, und zwar von tbd*. Das ist die Anlaufstelle für Menschen, die gerne mit Sinn arbeiten und wo man sich über alle möglichen Jobs bei NGOs und nachhaltigen Unternehmen informieren kann, wie man selbst in dem Bereich oder sonst Karriere machen kann.
Manuel Fritsch: Wie habt ihr denn euch überhaupt kennengelernt, bevor die Idee kam, ein Buch zusammen zu schreiben?
Naomi: Wir kennen uns schon seit zehn Jahren. Ich habe früher bei Oxfam gearbeitet, das ist eine der größten Hilfsorganisationen weltweit, und Lisa hat meinen Job übernommen, als ich mich für einen Master entschieden habe.
Lisa: Wir haben dann auch drei Monate in einer Übergabe zusammengearbeitet und danach hat unsere Freundschaft begonnen. Das heißt, bis auf diese drei Monate haben wir eigentlich viele, viele Jahre gar nicht zusammengearbeitet. Wir sind eigentlich Freundinnen.
Manuel: Der Untertitel eures Buches lautet „Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können“. Lisa, vielleicht magst du erzählen, wie du überhaupt zur Gründerin wurdest.
Meine große Hoffnung war, wenn ich mein eigenes Unternehmen gründe, dass ich dieses Glück dort finden würde.
Lisa: Ich habe vor sieben Jahren gegründet, nachdem ich einige Jahre als Angestellte gearbeitet hatte. Für mich hatte das Thema wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung im Globalen Süden nach einer Lösung geschrien, die nichts mit Entwicklungszusammenarbeit oder mit Charity zu tun hat, sondern mit einer anderen Art miteinander zu arbeiten. Das war letztendlich ein Beweggrund. Was aber der stärkere Grund war, das zu diesem Zeitpunkt zu tun, war, dass ich in meinem Job damals sehr unglücklich war. Nicht nur in dem Job als Beraterin, sondern auch schon davor immer, als ich gemerkt habe, dass ich eigentlich nicht besonders gerne gearbeitet habe. Meine große Hoffnung war, wenn ich mein eigenes Unternehmen gründe, dass ich dieses Glück dort finden würde.
Manuel: Und es hat sich bewahrheitet?
Lisa: Es war erstmal großartig, keinen Chef oder keine Chefin zu haben, selbstbestimmt zu sein, aber dann habe ich irgendwann meine ersten Mitarbeiterinnen gehabt und gemerkt, wie ich so nach und nach wieder so ein Gefühl hatte, nicht wirklich happy zu sein. Nach zweieinhalb, drei Jahren war ich wieder an dem Punkt, wo ich einfach nicht glücklich war und mich unglaublich geärgert habe, weil ich das Gefühl hatte, ich hätte alles in der Hand und habe es trotzdem nicht geschafft. Ich wusste nicht so genau, warum. Damals gab‘s dann irgendwann eine Situation mit einer Mitarbeiterin. Es gab einen Konflikt, wodurch ich damals zum ersten Mal so richtig gemerkt habe, dass eigentlich ich als Chefin ziemlich viele Dinge gemacht habe, die ich an meinen eigenen ChefInnen damals überhaupt nicht gut fand. Das hat mich ganz schön nachdenklich gemacht und gleichzeitig habe ich angefangen, mir sehr oft Feedback von meinen MitarbeiterInnen zu holen. Ich habe gemerkt, dass es schwer ist, wenn man auf eine gewisse Art sozialisiert ist, es zu schaffen, Dinge anders zu machen, weil man das einfach nicht lernt.
Manuel: Naomi, wie war denn deine Vorgeschichte vor dem Buch? Was hast du vorher gemacht und wie hat sich deine berufliche Karriere entwickelt?
Ich hatte das Gefühl, ein Spiel spielen zu müssen, das ich nicht unbedingt spielen wollte.
Naomi: Ich habe nicht ganz so bewusst wie Lisa diese Sozialisation wahrgenommen, sondern bei mir war es erst eine Beobachtung des Systems, was mich so hellhörig gemacht hat für diese ganzen Themen. Bei mir war die kritische Situation die Suche nach Funding, also Investitionen, Investoren für unser Unternehmen. Diese Prozesse hatte ich damals geleitet und das war schon ein sehr befremdlicher und anstrengender Prozess, der über mehrere Monate ging. Ich hatte das Gefühl, ein Spiel spielen zu müssen, das ich nicht unbedingt spielen wollte. Ich konnte aber auch nicht die Regeln ändern, sondern hatte das Gefühl, ich muss entweder mitspielen oder aussteigen. Das war der Moment, als ich angefangen habe, auch durch Gespräche mit Lisa, darüber zu reflektieren, welche Gewohnheiten hatte ich angenommen, welche Annahmen hatte ich, wie man als Unternehmerin und Chefin sein muss? Das war die Inspiration und Motivation fürs Buchschreiben.
Ein Buch voller Unternehmerinnen-Erfahrung
Manuel: Wie war denn eure Erfahrung: Muss frau sich verstellen, um als Gründerin erfolgreich zu sein?
Ich glaube, dass die Art, wie wir Führungskräfte oder Leader sehen, sehr stark durch eine Alphakultur geprägt ist.
Lisa: Ich würde sagen, dass ich das Gefühl hatte, mich verstellen zu müssen. Ich hatte das Gefühl, zwei verschiedene Rollen zu spielen. Es gab die private Lisa und es gab die Business-Lisa. Die Business-Lisa hat viel weniger Spaß gemacht zu spielen und ich glaube, die hat ehrlich gesagt auch anderen Leuten viel weniger Spaß gemacht. Die war ernst und hat sich und anderen Druck gemacht hat, sie war überhaupt nicht wertschätzend, liebevoll und witzig, sondern einfach immer ein bisschen angespannt und unter Druck. Ich würde sogar sagen, dass es nicht unbedingt nur ein Frauenthema ist. Ich glaube, es gibt auch sehr viele Männer, die wahrscheinlich von ihrer Persönlichkeit her ganz anders führen würden, als sie es tun. Ich glaube, dass die Art, wie wir Führungskräfte oder Leader sehen, sehr stark durch eine Alphakultur geprägt ist, also Menschen, die sehr selbstbewusst, sehr scheuklappenmäßig aufs Ziel fokussiert und sehr willensstark sind, die immer recht haben, nicht unsicher sind, nie zweifeln. Das sind so Charaktereigenschaften, die wir alle im Kopf haben, wenn wir an diese Rolle der Führungskraft denken. Ich glaube, es gibt viele Männer, die eigentlich auch selbst anders motiviert werden, aber die vor allem auch gerne anders motivieren würden, aber denen die Rollenvorbilder fehlen.
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Die Revolution der Frauen
Manuel: Ich sehe auch, dass es kein reines Mann-Frau-Problem ist, sondern eher diese Charaktereigenschaften, die man eher dem maskulinen Part zuschreibt, oder?
Lisa: Total!
Das heißt, egal wie gut oder erfolgreich die Frau ist, sie kommt trotzdem nicht weiter im System.
Naomi: Genau. Ich glaube, der Unterschied ist, dass viele Frauen und andere Menschen, die im System benachteiligt werden, daran scheitern und deswegen diesen Bonus haben, das ganze System ein bisschen distanzierter und kritischer beobachten zu können und vielleicht auch die Möglichkeit haben überhaupt auszusteigen. Das hat neuerdings eine Studie ganz gut gezeigt, über die nordischen Länder, wo man denken würde, dass alles sehr gleichgestellt ist. Frauen oder Unternehmerinnen bekommen tatsächlich nur 1 % von dem ganzen Risikokapital, was es für Start-ups gibt, obwohl sie durchschnittlich 54 % besseren Return on Investment aufzeigen konnten. Das heißt, egal wie gut oder erfolgreich die Frau ist, sie kommt trotzdem nicht weiter im System. Ich glaube, das ist dieser Vorteil, den die Frauen haben, dass sie quasi dazu gezwungen werden andere Wege zu gehen und eine kleine Revolutionen zu starten.
Manuel: Ihr habt beide die Erfahrung gemacht, dass ihr selbst diese Rollen und Muster angenommen habt, weil ihr das Gefühl hattet, das braucht es für den Erfolg. Lisa, wie hast du denn den Umschwung geschafft, auf eine andere Art zu führen?
Manchmal versteckt man sich hinter diesem ‚so bin ich halt‘.
Lisa: Ich habe mich konsequent in einen Feedback-Prozess begeben. Das ist so einfach und so schwer gleichzeitig, denn es hat sehr geschmerzt, zu hören, dass ich so bin, wie ich beschrieben wurde, weil ich mich als Person gar nicht so gesehen habe. Ich habe dann angefangen, mit meinem Mitgründer zusammen einen sehr strukturierten Feedback-Prozess bei uns zu etablieren. Das heißt, wir haben uns alle drei Monate mit allen Mitarbeiterinnen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten, zusammengesetzt und haben sehr strukturiert Perspektiven abgeglichen. Das war natürlich sehr transparent. Wenn meine Mitarbeiterinnen mir gesagt haben, „Lisa, du bist nicht sehr wertschätzend, das waren drei Situationen, wo mir das aufgefallen ist“ und ich dann drei Monate später wieder in einem Feedback-Gespräch sitze und ich keine Fortschritte gemacht habe, dann ist das schon was, wo ich merke, da muss ich mir mehr Mühe geben. Gerade bei Themen wie Wertschätzung ist es superwitzig: als ich angefangen habe, wertschätzender zu sein, dachte ich immer, oh Gott, das klingt bestimmt total Fake und das passt gar nicht zu mir. Das Lustige ist, je öfter man das macht, desto natürlicher wird es und irgendwann wird es ein Automatismus. Ich glaube, manchmal versteckt man sich hinter diesem „so bin ich halt“. Gerade Wertschätzung ist ein Thema, bei dem es um den Fokus geht. Fokussiere ich mich auf die Stärken oder auf die Schwächen der Person? Ab dem Moment, wo ich mich auf die Stärken der Person fokussiere, fällt es mir total leicht 1.000 Sachen zu finden, die diese Person großartig macht.
Manuel: Jetzt würden alteingesessene Businessberater sagen, man braucht diese berufliche Distanz. Das Wort Wertschätzung zielt schon auf Freundschaft ab. Die Angestellten sind keine Freunde. Da würdet ihr glaube stark widersprechen, Naomi, oder?
Naomi: Nicht unbedingt. Ich glaube, das muss man differenzierter sehen. Ich glaube, das, worin wir widersprechen würden, ist, dass man eine Distanz bewahren muss, aber dass man die Person als Menschen sieht. Das ist das Wesentliche. Dass man nicht versucht, selbst wie ein Roboter ohne Emotionen auf Arbeit zu sein und das auch von seinen Mitarbeiterinnen erwartet. Das führt im Zweifel nicht zu motivierten oder glücklichen Mitarbeiterinnen und ist für sich selbst auch einfach nicht schön, wenn man nicht man selbst sein kann auf der Arbeit.
Lisa: Vielleicht ist es noch nicht mal dieses „Freunde sein“, obwohl ich für mich selbst sagen kann, dass meine Mitarbeiterinnen alle Freundinnen von mir sind. Das heißt jetzt nicht, dass ich meine ganze Freizeit mit denen verbringe, aber es gibt eine sehr tiefe menschliche Verbindung. Es kann auch sein, dass das Personen sind, mit denen ich mich viel auseinandersetze, weil die ganz anders sind als ich. Als Unternehmerin kann ich sagen, ich werde dann besser, wenn ich unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Persönlichkeiten und Fähigkeiten hier habe. Aber trotzdem ist für mich total zentral, dass es eine ganz starke menschliche Verbindung gibt, die irgendwie auch freundschaftlich ist, die über die eigene Arbeitsbeziehung hinausgeht.
Die Suche nach neuen Vorbildern
Manuel: Wie ist das so gekommen zu sagen, das muss ein Buch werden?
Naomi: Ich glaube, eher aus der Verzweiflung als aus dem Gefühl, dass wir schon alles wissen oder können. Wir haben einfach selbst gemerkt, uns fehlen Vorbilder, von denen wir sagen können, das sind Menschen, die genau das im Unternehmen vorleben, was wir gerne vorleben möchten. Dann sind wir auf die Suche gegangen und haben ganz tolle Unternehmerinnen gefunden, die auf unterschiedliche Art und Weise die Werte leben, die wir zukunftsgerichtet finden für die Arbeitswelt von morgen. Von einer 85-jährigen Frau aus Großbritannien, die in den 60ern ein Tech-Unternehmen gründet hat, bis zu einer Frau im Silicon Valley, die Artificial-Intelligence-Expertin ist.
Neun ungewöhnliche Business-Frauen teilen ihre Erfahrungen in "Starting a Revolution"
Manuel: War das von Anfang an euer Plan, die Frauen in den Vordergrund zu stellen, weil sie bis jetzt zu wenig beachtet wurden?
Lisa: Was uns jetzt schon das ein oder andere Mal aufgefallen ist, ist, dass Männer oft irritiert auf das reagieren, was wir da versuchen zu machen mit unserem Buch, weil sie sich ausgeschlossen fühlen. Das finde ich total interessant. Wir sagen in unserem Buch nicht, dass es keine Männer gibt, von denen man was lernen kann. Was wir schon sagen, und da stehen wir auch dahinter, Frauen sind einfach völlig unterrepräsentiert. Männer, die sozusagen innovative andere Ansätze für sich gefunden haben, sind meistens die, die schon sehr viel in der Öffentlichkeit stehen. Uns ging es darum, das Spotlight einfach ein bisschen zu verschieben und zu sagen, es gibt großartige Frauen, die viel mehr in Frage stellen von dem, was andere als business as usual bezeichnen würden. Weil sie sich zum einen in dem System nicht akzeptiert fühlen und zum anderen, dadurch dass sie nicht akzeptiert werden, auch manchmal viel radikaler sind. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen uns Unternehmerinnen angucken, da die manchmal einfach einen anderen Fokus haben.
Manuel: Wollt ihr ein paar Beispiele geben, was von diesen Frauen, die die Unternehmen leiten, so gezielt anders gemacht wird?
Wenn es damals so ging, dann geht sowas heutzutage auf jeden Fall auch.
Naomi: Stephanie Shirley aus Großbritannien ist wie gesagt mittlerweile fast 90 und hat in den 60ern ein Tech-Unternehmen gegründet. Sie ist selbst Entwicklerin gewesen wie viele Frauen damals, aber wurde aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen, als sie geheiratet und Kinder bekommen hat. Sie hat deswegen von Zuhause aus gegründet, quasi eine der ersten Remote-Firmen. Sie hat auch nur Frauen angestellt, die von Zuhause arbeiten mussten. Sie hat das zu einem der größten Tech-Unternehmen überhaupt in Großbritannien aufgebaut. Sie hat auch alle Mitarbeiterinnen am Unternehmen beteiligt - nicht nur so ein bisschen, sondern sie hat denen die Mehrheit der Anteile übertragen. Das heißt, die haben nicht nur finanziell davon profitiert, sondern die konnten auch bestimmen. Das war natürlich damals total revolutionär und schwierig umzusetzen, weil die Bürokratie es damals überhaupt nicht vorgesehen hat. Für sie war es wichtig, ihre Werte, die sie sowieso im Leben hatte, in ein Unternehmen zu übertragen. Für sie hieß das, den Menschen, die den Wert schaffen, soll auch Vertrauen geschenkt werden, die richtigen Entscheidungen zu treffen und am Erfolg des Unternehmens Teil zu haben. Das war für mich eine krasse Inspiration. Wenn es damals so ging, dann geht sowas heutzutage auf jeden Fall auch.
Die eigenen Stärken und Schwächen identifizieren
Manuel: Ist es nicht total schwer in diesem bestehenden System, auf so andere Art und Weise ein Unternehmen zu führen?
Lisa: Es ist Arbeit und es ist vor allen Dingen, und das habe eigentlich alle Frauen gesagt, mit denen wir gesprochen haben, Arbeit an einem selbst in allererster Linie. Rauszufinden, was will ich eigentlich, wer bin ich, was sind meine eigenen Stärken und Schwächen und wie kann ich die gut ins Unternehmen einbringen? Aber auch anderen dabei zu helfen, diesen Prozess zu durchlaufen. Wenn du ein menschenzentriertes Unternehmen aufbauen willst, wo Menschen sich als Menschen begegnen, dann ist es immer gut, wenn man auch offen über Stärken und Schwächen sprechen kann. Das ist gar nicht so einfach, das müssen wir auch erst mal lernen, und da geht natürlich schon viel Energie rein. Wenn man auf der anderen Seite dafür die Belohnung bekommt, dass man seine Arbeit liebt, dass man jeden Tag gern zur Arbeit geht und dass man das Gefühl hat, mit den Menschen, mit denen man dort zusammenarbeitet, eine richtig gute Beziehung zu haben, dann ist das die Arbeit wert.
Zum anderen ist auch die Frage: Wie viele Ineffizienzen hast du in einem Unternehmen, wenn Menschen nicht offen mit ihren Stärken und Schwächen umgehen, wenn sie unglücklich sind und wenn es ihnen nicht gutgeht? Ich habe in meinem Leben schon so viel Erfahrungen in bisherigen Jobs gemacht, wo Menschen es aus Ego-Problemen nicht geschafft haben, voranzukommen.
Manuel: Naomi, du hast relativ viel Erfahrungen mit Investoren gemacht. Findet da auch eine Veränderung statt, dass es immer mehr Venture-Capitalist-Firmen gibt, die auf solche Unternehmenswerte achten?
Es ist nötig, dass diese Revolution breiter gestreut wird.
Naomi: Eine der Frauen, die wir im Buch interviewt haben, heißt Jennifer Brandel. Sie ist eine der Gründerinnen von einer spannenden, globalen Bewegung aus den Staaten, wo es darum geht zu sagen, eigentlich brauchen wir kein Risikokapital, sondern ganz andere Möglichkeiten, ein Unternehmen zu finanzieren, die uns ermöglichen, anders zu wachsen - und zwar nachhaltig und menschenzentriert. Da haben sich viele Unternehmerinnen angesprochen gefühlt, unter anderem wir, weil wir das Gefühl hatten, in diese Logik des Venture Capital gar nicht reinzupassen und auch nicht passen zu wollen. Diese Bewegung heißt Zebras als Gegenpol zu Unicorns. Es gibt mittlerweile auch Investmentfirmen, die nur auf Zebra-Unternehmen setzen und sagen, wir wollen nicht zur Maximal-Skalierung pushen, sondern wollen ein nachhaltiges Wachstum und darin investieren. Ich sehe da schon eine positive Bewegung, aber da müssen natürlich Politik und andere Akteure mitziehen. Es ist nötig, dass diese Revolution breiter gestreut wird.
Lisa: Es ist auf jeden Fall nicht einfach innerhalb des aktuellen kapitalistischen Systems Sachen komplett anders zu machen. Das merken Naomi und ich schon alleine in unserem eigenen Freundeskreis, wo viele männliche Gründer sind. Hier kann man schon sagen, durch die Art, wie wir Unternehmertum sehen und wie wir es in unserem Buch darstellen, dass die uns nicht so wirklich ernstnehmen. Für die ist das ein bisschen „Feel Good“-Zeug, aber wenn man richtig erfolgreich sein will, dann muss man das anders machen. Die Erfahrung, die wir gemacht haben und auch viele andere Frauen und Männer machen, die anders Unternehmen aufbauen wollen, ist, dass du schauen musst, wer deine Peergroup ist, und dich mit solchen Leuten vernetzen. Dafür ist natürlich unser Buch großartig, weil Menschen, die sich angesprochen fühlen, dann zu Alliierten werden und man auch dadurch Netzwerke spannen und sich zusammenschließen kann. Wenn irgendjemand einen Investor kennt, der vielleicht einfach mal ganz anders tickt, können da auch ganz andere Synergien entstehen. Aber es ist auf jeden Fall nicht einfach und es ist superwichtig, sich jeden Tag immer wieder bewusst zu machen, wofür man es tut, nämlich dafür, dass nicht nur man selbst glücklicher bei der Arbeit ist, sondern wir an Unternehmen arbeiten, die die Welt besser machen.
New Work: Erfolg muss neu gemessen werden
Naomi: Wir haben schon die Politik angesprochen, ich glaube die Medien spielen da auch eine ganz wichtige Rolle. Wenn man sich die typischen Start-up-Zeitschriften und -Zeitungen anguckt, dann ist das, was am meisten berichtet wird, welche Investitionen irgendwelche Unternehmen bekommen haben. Das ist die Art und Weise wie Erfolg gemessen wird im Start-up System, wieviel Geld man bekommen könnte von Investoren. Wenn einige Medien anfangen würden, auf andere Dinge zu achten und über andere Dinge zu schreiben, dann würde das vielleicht ein anderes Bild von Erfolg hervorgehoben.
Manuel: Habt ihr denn das Gefühl, dass sich jetzt schon was tut? Ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren dieses Thema New Work Mode geworden ist, also dass über auch alternative Firmenstrukturen nachgedacht wird. Tut sich da was oder ist euch das noch zu wenig?
Wenn man Macht abgibt, dann führt das dazu, dass man manchmal einfach die Klappe halten muss.
Lisa: Ich will überhaupt nicht sagen, dass New Work ein Buzzword ist, bei dem nichts dahintersteckt, unter New Work summiert sich natürlich ganz viel. Aber ich würde sagen, ich kenne Unternehmen, die nichts mit New Work zu tun haben und es trotzdem geschafft haben, ihre Mitarbeiter und sich selbst als Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Und ich kenne New-Work-Unternehmen, die total konsequent Hierarchien abgeschafft haben, aber am Ende des Tages trotzdem die Gründer alle Entscheidungen fällen. Einfach nur ein Konstrukt, eine Organisationsform zu wählen, bringt meistens nicht viel, weil die Mechanismen, die bestimmen, wer Macht und wer keine Macht im Unternehmen hat, die sind meistens unterschwelliger. Da gibt es ein schlaues Buch von zwei Frauen, beide haben wir interviewt, aber Joanna kommt sozusagen als Revolutionärin vor, das heißt „New Work needs Inner Work“. Da ist ein sehr zentraler Bestandteil, an sich selbst zu arbeiten und dass man vor allen Dingen auch von diesem Trichter runterkommen muss, dass man unfehlbar ist, sodass man alle Sachen besser weiß oder dass man mit besonderen Qualitäten ausgestattet wurde als Unternehmerin, sondern dass das eigentlich oft nicht stimmt und dass ein bisschen Demut und auch ein bisschen Selbstreflektion eigentlich sehr, sehr wichtig ist. Wenn man Macht abgibt, dann führt das dazu, dass man manchmal einfach die Klappe halten muss und sich an der Stelle dann auch wirklich konsequent dafür entscheiden muss, nicht immer irgendwie die Schlauste zu sein. Es gibt RevolutionärInnen, die sich nicht als New-Work-RevolutionärInnen bezeichnen würden, sowohl Männer als auch Frauen, und trotzdem gibt es sie. Und gleichzeitig gibt es New-Work-Pioniere, die keinen sehr menschenzentrierten Ansatz haben. Wovon wir schreiben und was wir uns wünschen für uns selbst, aber auch für andere Unternehmen, ist sehr radikal.
Wir merken, dass viele Menschen sich das so wünschen und gleichzeitig immer noch so ein Tenor herrscht, „aber das kann doch nicht gehen“ oder „das kann doch nicht wirtschaftlich sein“ oder „wie soll das denn funktionieren, wenn es uns allen total gut bei der Arbeit geht und wir völlig druckfrei arbeiten?“. Das ist ein sehr langer Prozess. Man muss viele Bilder von Erfolg, von Unternehmertugend, von Wirtschaftswachstum hinterfragen und sich superviel selbst anlernen, sich umerziehen, wie man auf Dinge schaut.
Manuel: Das ist ja ein generelles gesellschaftliches Problem, dass man Fehler zugeben kann und muss. Das ist ja eigentlich eine Stärke, wenn man dann gemeinsam nach einem Problem sucht.
Aus dem aktuellen System wollen wir gar nicht aussteigen, eigentlich wollen wir es abschaffen.
Lisa: Aber wer sind die Starken? Es sind einfach meistens Männer und irgendwelche Alpharollen, die die starken Rollen waren. Guck in die Politik, in die Wissenschaft, in Familien, das ist was, was sehr, sehr tiefgeht und gleichzeitig uns an den Punkt bringt, an dem wir gerade sind. Die Gesellschaften driften auseinander und es ist klar, dass es diverser werden muss in allen Führungsetagen, egal ob es die Politik ist oder Unternehmen. Das ist auch immer was, was mir so Hoffnung gibt: Wenn wir es schaffen andere Perspektiven und andere Menschen in diese Prozesse reinzuholen, dann wird sich was verändern. Gleichzeitig wissen wir auch, man muss aufpassen, dass man dieses System dann nicht so internalisiert hat, dass man es einfach nur reproduziert. Was man total viel beobachtet im Unternehmertum oder auch in der Politik, dass Frauen oder Menschen mit anderen Diskriminierungserfahrungen dann irgendwann in der Position sind, wo sie die Härtesten sind und wo sie diese Alphakultur so krass internalisiert haben, dass sie gar nicht mehr offen dafür sind, Sachen anders zu machen. Von daher haben wir auch im Rahmen von unserem Buch-Launch gesagt, eigentlich wollen wir nicht mehr länger über Quoten diskutieren, denn aus dem aktuellen System wollen wir gar nicht aussteigen, eigentlich wollen wir es abschaffen.
Wie sich die Corona-Pandemie auf die Rollenbilder der Arbeitswelt auswirkt
Manuel: Naomi, hast du das Gefühl, dass durch die Corona-Pandemie solche Umbruchprozesse eher beschleunigt werden oder ist das eher hinderlich für eure Ideen?
Die Krise hat dazu geführt, dass Frauen ihre Vorstandspositionen verloren haben und durch Männer ersetzt wurden.
Naomi: Eigentlich hätte ich gedacht, dass es solche Prozesse beschleunigt durch das ganze Remote Work. Führungskräfte werden quasi dazu gezwungen, ihren MitarbeiterInnen zum ersten Mal richtig zu vertrauen, weil sie nicht den ganzen Tag auf dem Bildschirm gucken können und merken, dass es keinen Unterschied macht. Häufig sind die Menschen einfach produktiver, wenn sie flexibler und autonomer arbeiten können und eben dieses Vertrauen geschenkt bekommen. Viele Menschen stellen viel krasser infrage, warum sie überhaupt das machen, was die machen, so eine Krise zwingt einen so ein bisschen dazu. Es gibt so ein paar positive Richtungsgeber auf jeden Fall, aber das, was mich deprimiert hat, war der Bericht von der AllBright Stiftung letzte Woche, der gezeigt hat, dass die Anzahl an Frauen in den DAX-Vorständen auf ein Level von 2017 zurückgegangen ist. Das heißt, die Krise hat dazu geführt, dass Frauen ihre Vorstandspositionen verloren haben und durch Männer ersetzt wurden. Das ist scheinbar auch ein bisschen ein deutsches Problem. Natürlich ist überall Ungleichheit bei den Vorständen, aber Deutschland ist das einzige Land, wo es zurückgeht. Dann muss man fragen, ob wir wirklich große Veränderungen innerhalb dieses Systems herbeiführen können oder eben andere Systeme brauchen. Frauen, die versuchen, sich in diesem System hochzuarbeiten, würde ich eher ermutigen, das nicht mehr zu tun und einfach mal was anderes zu probieren.
Manuel: Mich hat auch frustriert, dass Frauen laut Statistik im Homeoffice dann bei Kindererziehung und Homeschooling wieder in die alten Rollenmuster verfallen und das eher den Frauen überlassen wird, obwohl die ja auch genauso arbeiten müssten.
Lisa: Ich habe selbst zwei kleine Kinder und Naomi weiß, dass ich mich immer gerne darüber aufrege, wie unfassbar konservativ die Rollenverteilung in Deutschland noch ist. Ich kenne kaum Paare in meinem Freundeskreis oder in meinem Bekanntenkreis, die sich das einigermaßen zu gleichen Teilen aufteilen mit der Kinderbetreuung. Dass das jetzt in Corona-Zeiten noch krasser einreißt, wundert mich ehrlich gesagt nicht.
Corona wirkt an vielen Stellen noch mal als Katalysator.
So Sachen, die eh schon im Ungleichgewicht sind, werden noch mal verstärkt und kommen dadurch noch mal krasser ans Tageslicht. Viele der Frauen, mit denen wir gesprochen haben, haben auch Kinder, und die haben es auch geschafft, Unternehmen aufzubauen und Strukturen aufzubauen, die das möglich machen. Anna, die Wildling gegründet hat, arbeitet mit ihrem Team komplett remote. Anna und ihr Mann haben selbst drei Kinder und haben gesagt, wenn ich jetzt jeden Tag eine Stunde pendeln muss, dann kriege ich das überhaupt nicht gebacken, und ich will gerne flexibel sein. Die sind unglaublich erfolgreich mit ihrem Unternehmen, ziehen tolle Menschen an, weil die natürlich auch alle diese Flexibilität genießen. Die sehen sich auch oft und haben alle sechs Wochen immer ein persönliches Treffen, wo die zwei Tage gemeinsam an einem schönen Ort sind und einfach auch schöne Zeit miteinander verbringen. An der Stelle sind Frauen vielleicht auch innovativer, weil sie sagen, ich möchte ein Leben führen, wo beides geht, wo ich nicht nur einen Job mache, der mir Spaß macht, sondern auch Zeit mit meinen Kindern zu verbringen.
Die Rolle der Politik auf die neue Arbeitswelt
Manuel: Jetzt haben wir in den letzten Tagen die Meldung gekriegt, dass die deutsche Politik ein Recht auf Homeoffice etablieren will. Was wünscht ihr euch noch von der Politik? Was muss sich grundsätzlich ändern?
Naomi: Ich glaube, das, was die Politik gut und gerne tut, ist Risikokapital zu subventionieren oder Programme in der Richtung zu entwickeln. Ich glaube, was superwichtig ist, um diversere, nachhaltigere und feministischere Businesses zu ermöglichen, wäre, andere Finanzierungsformen zu subventionieren und zu fördern und den Zugang einfacher zu machen.
Lisa: Auch, wenn wir sagen, dass wir in diesem aktuellen System nicht aussteigen wollen, sind natürlich Quoten absolut notwendig. Dass es keine Quoten für deutsche Vorstände gibt, ist absurd und die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die deutschen Unternehmen da auch die Politik einfach ein bisschen verarscht haben, weil die ja immer gesagt haben, Selbstverpflichtung reicht. Man sieht es in vielen anderen Ländern, das bringt was. Quoten in der Politik. Wenn nur irgendwelche alten weißen Männer unsere Corona-Politik machen, dann kein Wunder, dass die Kitas am allerlängsten geschlossen bleiben.
Vielleicht wird es eine langsame Revolution, das ist auch okay.
Ich glaube, das ist auch wieder an so vielen Stellen deutlich geworden, wie da die Interessenspolitik für Menschen gemacht wird, die nicht wir sind. Auch in der Verteilung der Wirtschaftsfördergelder - das wäre doch ein perfekter Zeitpunkt gewesen zu sagen, der Fokus auf nachhaltige Unternehmen ist überfällig und wir gucken, dass wir da Kriterien dranknüpfen. Aber nein. Deshalb brauchen wir Frauen, brauchen wir Menschen mit anderen Diskriminierungserfahrungen in Positionen, wo sie wirklich Politik machen können, die unser aller Gegenwart verändern kann. Nur, wenn das gegeben ist, kann die Revolution auch volle Fahrt annehmen. Selbst wenn wir alle versuchen, unser Bestes zu geben, merken wir einfach, dass wir immer wieder auf Widerstände stoßen. Vielleicht wird es auch eine langsame Revolution, das ist ja auch okay.
Manuel: Ja, Hauptsache sie kommt.
Lisa: Ja genau. Ich glaube, die Dringlichkeit ist groß. Wenn wir uns umgucken, sehen wir, es ist einfach richtig viel im Argen und wir brauchen unbedingt eine andere Art zu wirtschaften und deshalb ist die Rolle der Politik zentral.
Manuel Fritsch ist der Moderator des Shopify Podcasts. 2000 gründete Manu sein erstes Unternehmen und arbeitete 15 Jahre in der Agenturwelt. Seit 2015 ist er als freiberuflicher Spielejournalist für Fachmagazine, Zeitungen und seinen eigenen Podcast mit inzwischen über 2.500 Folgen tätig.Weiterlesen
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