Obwohl die Weltwirtschaft durch die globale Pandemie eine Zeit lang zur Zwangspause gebeten wurde, gibt es auch einige positive Entwicklungen, die durch die Corona-Krise angestoßen wurden. Zuletzt war das Konsumverhalten fast unvorhersehbar und dennoch zeichnete sich ein hoffnungsvoller Schimmer für kleine und vor allem lokale Händler ab, die es sonst schwer haben, sich am Markt durchzusetzen.
Lisa Jaspers, Autorin und Gründerin des Berliner Fair-Trade-Labels Folkdays, erklärt im Interview, weshalb soziales Unternehmertum und der E-Commerce noch stärker an Bedeutung gewonnen haben.
Unternehmen setzen sich für soziale Zwecke ein
Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft steckt hinter dem Begriff soziales Unternehmertum (oder auch Social Entrepreneurship) der Ansatz, soziale Ziele mit unternehmerischen Konzepten zu erreichen. Zu den sozialen Zielen zählen unter anderem die Bekämpfung von Armut, die Einhaltung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt.
Folkdays Gründerin Lisa Jaspers
Social Entrepreneur Lisa Jaspers hat eine klare Vorstellung davon, was es heißt, unternehmerisch zu gesellschaftlichem Wandel beizutragen. Mit ihrem Fair-Trade-Label Folkdays verfolgt sie einen solidarischen Win-Win-Ansatz:
Alle Beteiligten müssen von der Zusammenarbeit profitieren, Produzenten, Händler, aber natürlich auch die Kunden.
Dabei achtet sie darauf, einen maximalen Gewinn für die Produzenten zu schaffen, eine sinnvolle Marge für Folkdays zu kalkulieren und ihren Kunden faire Preise anzubieten. In dem nachfolgenden Interview wird sie dabei konkreter.
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Welches soziale Ziel verfolgst du mit Folkdays?
Folkdays ist der moderne Weltladen
Ich habe Folkdays vor sechseinhalb Jahren gegründet mit dem Ziel, den Weltladen für die nächste Generation aufzuarbeiten. Unser Fokus liegt auf dem internationalen Kunsthandwerk für Fashion, Schmuck, Accessoires und Interior. Folkdays richtet sich dabei an junge, designaffine Menschen mit einer kuratierten Auswahl an Produkten, die per Hand in verschiedenen Entwicklungsländern gefertigt werden. Unser Ansatz ist es, Menschen vom anderen Ende der Welt auf Augenhöhe zu begegnen. Ein fairer Umgang mit Produzenten ist die Grundlage für ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum am Produktionsort.
Mit Folkdays wollte ich kein großes Fashion-Unternehmen schaffen, sondern einen Social Impact. Wir messen unseren Erfolg daran, welche positive Veränderung wir schaffen, statt ausschließlich den generierten Umsatz zu betrachten.
Wir wollen Menschen in Entwicklungsländern ein faires Einkommen ermöglichen und das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum in Deutschland stärken. Unsere Zielgruppe sind Personen, die Fast Fashion boykottieren und auf der Suche nach Produkten mit einer Seele sind. Vor drei Jahren haben wir deshalb unseren Laden in Berlin eröffnet. Zuerst haben wir uns auf unsere Rolle als Händler*innen konzentriert. Mittlerweile sind wir zu einem Label mit eigenen Produktdesigns herangewachsen.
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Fast Fashion? Nein danke
Vor der Gründung von Folkdays habe ich in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Das Thema Armutsbekämpfung hat mich schon immer beschäftigt. Die starke Abhängigkeit der Produzenten und die unausgeglichenen Machtverhältnisse in der Branche, die mir begegnet sind, haben mich dazu angetrieben, etwas Eigenes zu starten.
Von E-Commerce und Unternehmertum wusste ich zwar nicht viel. Mein Wunsch nach mehr gestalterischem Freiraum und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren jedoch Motivation genug, um mir das notwendige BWL-Wissen für ein eigenes Unternehmen anzueignen.
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Wie schafft ihr es, die Balance zwischen sozialen Zielen und Liquidität zu halten?
Mit unserem Geschäftsmodell, welches sich auf ein nicht-monetäres Ziel stützt, steigt natürlich auch das wirtschaftliche Risiko. Eine faire Entlohnung unserer Produzenten ist ein Muss. Dieser Ansatz kann allerdings zu einem Liquiditätsengpass führen, sollten wir die angefertigten Produkte nicht schnell genug absetzen können. Um dieses Problem möglichst zu minimieren, haben wir in der Vergangenheit bereits mit Pre-Order Lösungen wie auch Wartelisten experimentiert. Das bedeutet, die Anfertigung der Produkte findet erst nach Eingang der Bestellung statt. Dieses Prinzip funktioniert gut, da wir Produkte anbieten, die etwas Besonderes sind, aber nicht essenziell für das tägliche Leben. Unsere Kunden sind daher bereit auf ihre Lieferung zu warten. In Zukunft wollen wir neben dem D2C-Ansatz außerdem unsere B2B-Kooperationen mit Concept Stores und anderen kuratierten Shops ausbauen und ihnen unsere Designs vorstellen. Darüber hinaus setzen wir auf die gegenseitige Unterstützung mit anderen nachhaltigen Labels, um unsere Reichweite zu vergrößern.
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Kreativ werden, um die Reichweite zu erhöhen
Wir veranstalten beispielsweise Folkdays & Friends Pop-up Days in unserem Laden sowie in anderen Städten im DACH-Raum. Für die Pop-up Shops erweitern wir unser Sortiment durch ausgewählte Fair-Trade-Produkte von kleinen Marken und Labels. Als kleiner Fisch im Ozean der Modebranche haben wir es nicht immer leicht. Unser Business-Modell ist deshalb flexibel und passt sich an Veränderungen im Markt an. Das kommt uns in Anbetracht der aktuellen Wirtschaftslage zugute.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus habt ihr zu spüren bekommen?
Leider mussten wir unseren Laden in Berlin schließen. Gleichzeitig ist unser Online-Umsatz deutlich gestiegen. Wir haben unsere Existenzangst aufgrund der Ladenschließung offen kommuniziert. Dadurch erhalten wir nach wie vor viel Unterstützung von unserem treuen Kundenstamm, sodass wir weitermachen konnten. Da viele internationale Grenzen geschlossen wurden und unsere Produkte im Ausland gefertigt werden, bestand immer die Sorge, nicht nachbestellen zu können. Glücklicherweise hatten wir noch genügend Produkte auf Lager. Für aktuell ausverkaufte Produkte haben wir Wartelisten angeboten, in die sich Kunden eintragen können.
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Warum stieg durch die Krise die Nachfrage nach Fair-Trade-Produkten?
Während des Corona-Peaks befanden wir uns in einer Zeit, in der sich viele Menschen mit existenziellen Fragen auseinandergesetzt haben. Viele arbeiteten von zu Hause und hatten mehr Zeit. Das bedeutet, dass sie sich mit vielen Themen intensiver beschäftigen konnten. Deshalb wurden vor allem Unternehmen und Produkte interessant, die einen wirklichen Mehrwert bieten. Statt die neuesten Frühlingstrends zu shoppen, um sie in den eigenen vier Wänden zu tragen, suchen Konsumenten online nach etwas mit mehr Bedeutung. So löst ein Produkt von einem kleinen Label mit einer persönlichen Nachricht und Informationen zur Herkunft des neuen Lieblingsstücks vielleicht mehr Freude aus. Bei all den Ängsten und Sorgen hat die Situation auch etwas Positives mit sich gebracht:
Die Menschen beginnen, mehr über die Produkte nachzudenken, die sie kaufen.
Das kommt vor allem Unternehmen zugute, die auf einer ehrlichen Mission sind. Wir sehen deutschlandweit immer mehr Solidarität mit kleinen und lokalen Unternehmen, die Teil einer regionalen Gemeinschaft sind.
Leitfaden: Wie du dein Ladengeschäft erfolgreich online bringst, erfährst du hier.
Welche Rolle spielt der E-Commerce in dieser Krise?
Durch die bundesweiten Ausgangsbeschränkungen der letzten Monate konnten Menschen eine Zeit lang nicht wie gewohnt einkaufen. Keiner wollte jedoch gänzlich auf die Freiheit des Stöberns verzichten. Onlineshopping ist die beste Alternative zum Stadtbummel in Krisenzeiten. Wenn dein Unternehmen bereits einen Onlineshop hat, ist es höchste Zeit, die E-Commerce Aktivitäten ins Zentrum des Geschäfts zu rücken. Unternehmen die erst in letzter Sekunde mit dem Online-Verkauf gestartet haben, brauchten eine clevere Marketingstrategie, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Zusätzlich auf Online-Marktplätzen zu verkaufen, um die eigene Marketingreichweite zu maximieren, war dabei ein weiterer strategischer Schachzug.
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In nächster Zeit wird es interessant zu beobachten, wie sich die Verbindung zwischen E-Commerce und Lokalpatriotismus entwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass es bald eine E-Commerce-Revolution gibt und regionale Plattformen wie Pilze aus dem Boden schießen, um lokale Anbieter, Geschäfte und Restaurants zu unterstützen und als Gesellschaft zusammenzuhalten.
Neben deiner Tätigkeit als Gründerin bist du ebenfalls Co-Autorin des Buches „Starting a Revolution“. Welche Art von Revolution ist hier gemeint?
Gemeinsam mit der Gründerin des Portals für nachhaltige Jobs, Naomi Ryland, durfte ich besonders herausragende Gründerinnen interviewen, um dem Paradigma unserer heutigen Arbeitswelt auf den Grund zu gehen. „Starting a Revolution“ ist eine kritische Reflexion unserer Arbeitsgesellschaft und gibt einen Ausblick auf eine Neugestaltung der Arbeitswelt.
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In unseren Gesprächen mit erfolgreichen Frauen, wurde schnell klar: Es geht darum, an einem Ziel zu arbeiten, das über den monetären Anreiz hinausgeht und sowohl mich als Individuum, als auch die Welt bewegt. Im Buch erforschen wir, wie man es schafft, diesen Ansatz in das eigene Unternehmen zu integrieren.An Zielen arbeiten, die über das Einkommen hinaus gehen
Ein Beispiel dafür ist das Unternehmenskonzept der Gründerin Anna Yona von Wildling. Sie hat es geschafft, als leidenschaftlicher Familienmensch ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen und ihren Barfuß-Kindern eine echte Schuhalternative zu bieten. Zudem arbeitet das Team von Anna komplett remote – ein Ansatz, der sich in vielen traditionellen Unternehmensstrukturen nur sehr langsam durchsetzt. Jede Geschichte unserer Interviewpartner ist einzigartig und doch sind sich einige der Management-Ansätze ähnlich. Die folgenden drei Tipps sind wichtige Treiber in der Revolution der Arbeitswelt:
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Stelle alles infrage, was dir als „normal“ verkauft wird.
Das betrifft sowohl Unternehmensstrukturen als auch Workflows, Aufgabenteilung und Arbeitszeiten. Womöglich ist Teilzeit produktiver und gesünder als die Vollzeitwoche.
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Folge deiner Intuition.
Gehe nur Dingen nach, die sich intuitiv richtig anfühlen. Logische Entscheidungen halten dich manchmal davon ab, neue Wege zu gehen.
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Lerne dich selbst kennen.
Nur wer sich selbst und seine Ängste gut kennt, kann ein guter Chef sein. Authentizität bewirkt mehr als Dominanz.
Nach diesen Prinzipien kannst du eine Arbeitsatmosphäre schaffen, die nicht durch Ego, sondern durch Vertrauen bestimmt ist. Und besonders in der aktuellen Lage ist ein gutes Management entscheidend. Es wird immer offensichtlicher, dass unser Wirtschaftssystem nachhaltiger gestaltet werden muss. Vielleicht kommt nun die Zeit derer, die bisher auf der Beifahrerseite der Unternehmungsführung saßen: Menschen, mit kreativen Lösungen und Ideen und einer gesunden Portion Menschlichkeit.
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Welche gesellschaftlichen Veränderungen erhoffst du dir durch die Corona-Krise?
Ich wünsche mir, dass die Menschen die Zeit nutzen, um sich zu informieren und etwas für ihr Leben zu lernen. Jeder sollte sich die Frage stellen, wie das eigene Leben aussehen könnte, mit mehr Raum für Familie und sich selbst. Viele hatten bisher das Gefühl, nie genügend Zeit zu haben und nicht produktiv genug zu sein. Nun haben wir die Zeit, die Mechanismen der Gesellschaft zu analysieren, die uns in dieses Hamsterrad zwängen.
Lesetipp: Wie du Social Commerce für dich nutzen kannst, erfährst du in diesem Beitrag.
Bei all der Selbstreflexion sollten wir trotzdem nicht vergessen, dass es sehr viele Menschen auf der Welt gibt, die in deutlich weniger komfortablen Verhältnissen leben. Durch die geschlossenen Grenzen war die Lage für Asylsuchende besonders dramatisch. Ich hoffe diese Umstände geraten nicht zu sehr in Vergessenheit. Stattdessen sollten wir unsere Zusammengehörigkeit als Menschen stärken und aufeinander achten. Das gilt sowohl für das eigene Team als auch für die Welt. Als Social Entrepreneur ist der positive Einfluss auf die Gesellschaft stets dein übergeordnetes Ziel.
Über die Autorin: Inara Muradowa ist SEO & Content Beraterin. Ihr Schwerpunkt ist der Bereich E-Commerce. Im Shopify-Blog porträtiert sie am liebsten erfolgreiche Gründer*innen und gibt Insider-Tipps zu aktuellen Trends.
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