Wer gründet und selbstständig arbeitet, wird sich früher oder später mit der Problematik der Scheinselbstständigkeit auseinandersetzen, schließlich kann diese zu einer großen Gefahr werden und zu teuren Folgen führen. Was man genau unter Scheinselbstständigkeit versteht, wann du als scheinselbstständig giltst und wie du das tunlichst vermeiden kannst, erklären wir dir in diesem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis:
- Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?
- Welche Folgen und Konsequenzen hat eine Scheinselbstständigkeit?
- Wie kann man eine Scheinselbstständigkeit vermeiden?
Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?
Geht es um die Definition der Scheinselbstständigkeit, muss man sowohl die Sicht der selbstständig arbeitenden Person als auch die Perspektive des Arbeitgebers einnehmen.
Als Scheinselbstständigkeit wird ein Arbeitsverhältnis betitelt, bei dem ein Arbeitnehmer, der vertraglich als Selbstständiger auftritt, nach objektiven Kriterien als abhängiger Arbeitnehmer zu bewerten ist und somit eigentlich versicherungspflichtig angemeldet werden müsste.
Die Scheinselbstständigkeit zeigt sich durch folgende Merkmale:
- Es wird dauerhaft kein eigener versicherungspflichtiger Mitarbeiter beschäftigt.
- Mehr als ca. 83% der Arbeitszeit wird demselben Auftraggeber gewidmet.
- Die Aufträge eines Auftraggebers liefern 5/6 des Umsatzes.
Eine „echte“ selbstständige Tätigkeit dagegen ist gekennzeichnet durch folgende Kriterien:
- Selbstbestimmte Arbeits- und Ruhezeiten
- Selbstfestgelegte Verfügbarkeiten
- Freie Gestaltung der Tätigkeit
- Eigenständige Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufspreise bzw. Stundensätze und Honorare
- Entscheidungen bei der Einstellung von Personal
- Freier Einsatz von Kapital
- Eigenständige Festlegung der Zahlungsweise der Kundschaft
- Entscheidungen zu Art und Umfang von Werbung für das eigene Unternehmen
- Zahlungen von Beiträgen zur Sozialversicherung sind nicht nötig
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Selbstständige Arbeitnehmer haben gleichzeitig keinen Anspruch auf die Verfügungstellung von Arbeitsmitteln oder sozialen Vorsorgen. Das bedeutet, dass Selbstständige nicht weisungsgebunden sind und sich weder ihre Arbeitszeit noch den Arbeitsort, die Dauer oder die Art der Ausführung diktieren lassen müssen. Entscheidend bleibt trotzdem, dass für die geleistete Arbeit eine Entgeltzahlung folgt.
Zudem zeichnet Selbstständige aus, dass sie nicht der Pflicht nachkommen müssen, in die gesetzliche Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- oder Pflegeversicherung einzuzahlen. Selbstständige unterliegen nur der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, wenn sie regelmäßig und im Wesentlichen für einen Auftraggeber Tätigkeiten erfüllen und selbst keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit einem Verdienst von mehr als 450€/ Monat beschäftigen.
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Scheinselbstständige Personen können die oben genannten Kriterien nicht vollends erfüllen und ihre Entscheidungsbefugnisse sind stark eingeschränkt. Eine selbständige Tätigkeit ist nicht mehr zu erkennen. Um diese Problematik anschaulicher zu machen, folgt ein Beispiel.
Scheinselbstständigkeit Beispiel
Nach der Elternzeit kommt eine junge Mutter zurück in die Online-Marketing-Agentur, in der sie zuvor schon tätig war. Dieses Mal jedoch auf freiberuflicher Basis. Die Mutter darf vor Ort die Laptops und Grafikprogramme für ihre Arbeit nutzen. Die Agentur integriert die vermeintlich selbstständige Marketing-Fachfrau fest in die Tagesplanung und entscheidet, welche Kundenaufträge von ihr abgearbeitet werden. Auch ihre eigenen Urlaubs- und Ruhetage stimmt sie mit den anderen Mitarbeitern der Agentur ab. Für die junge Frau bleibt kaum Zeit, sich weiteren Klienten ihrer selbstständigen Tätigkeit zu widmen.
Da der Auftraggeber, nämlich die Agentur, Arbeitsmaterialien zur Verfügung stellt und die Aufträge nach seiner Vorstellung abgearbeitet werden, kann aus Sicht der Rentenversicherung eine Scheinselbstständigkeit vorliegen.
Welche Folgen und Konsequenzen hat eine Scheinselbstständigkeit?
Die Kontrolle freier Mitarbeiter oder Freiberufler mit Blick auf Scheinselbstständigkeit hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Sowohl das Finanzamt als auch die Rentenversicherung können einen Verdacht auf Scheinselbstständigkeit äußern und eine Betriebsprüfung veranlassen.
Wenn die entsprechende Prüfstelle eine Scheinselbstständigkeit aufdeckt, hat das sowohl für Auftragnehmer als auch für Auftraggeber finanzielle Folgen, die die Existenzgrundlage kosten können. Zudem gelten beide Parteien als Gesamtschuldner.
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Wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, hat dies für Auftragnehmer und Auftraggeber folgende Konsequenzen:
- Der Status des Freiberuflers wird aberkannt.
- Auftraggeber sind in der Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge bis zu vier Jahre rückwirkend zu entrichten. Das kann in den fünfstelligen Bereich gehen.
- Sämtliche Lohnsteuerbeiträge müssen nachgezahlt werden. Auch hier bis zu vier Jahre rückwirkend.
- Eventuell müssen nach der Prüfung abgezogene Vorsteuerbeiträge für die noch nicht veranlagten Kalenderjahre vom Arbeitgeber zurückgezahlt werden.
- Der Auftragnehmer (der Scheinselbstständige) haftet maximal 3 Monate rückwirkend für nicht gezahlte Beiträge.
- Wird der Vorsatz nachgewiesen, sind Bußgelder, Gefängnisstrafen und Rückzahlungsforderungen für bis zu 30 Jahre möglich.
- Der Freelancer kann seinen Arbeitnehmerstatus einklagen und hat bei Erfolg fortan alle Rechte eines Arbeitnehmers, inklusive Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz.
- Der bis dato Auftragnehmer und jetzige Arbeitnehmer muss sein Gewerbe anmelden beim Gewerbeamt und die Mitgliedschaft bei der IHK endet.
- Auftraggeber und Auftragnehmer sind rechtlich gesehen Gesamtschuldner. Der bis dato Auftraggeber (nun Arbeitgeber) kann die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate von dem künftigen Gehalt abziehen. Die Beitragshöhe hängt vom bisherigen Honorar bzw. dem neuen Nettogehalt ab.
- Der Scheinselbstständige muss ausgestellte Rechnungen berichtigen und die ausgewiesene Umsatzsteuer als ungültig erklären. Die Vorsteuer muss an das Finanzamt zurückgezahlt werden.
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Wie kann man eine Scheinselbstständigkeit vermeiden?
Der Auftraggeber hat bei seinen Arbeitnehmern – egal ob in Festanstellung, Teilzeit oder in freiberuflicher Beschäftigung – zu prüfen, ob eine Abhängigkeit in der Beschäftigung besteht. Zwar kann ein Auftraggeber zu dem Entschluss kommen, dass keine abhängige Beschäftigung besteht, das Risiko, dass bei einer Betriebsprüfung ein anderes Urteil gefällt wird, besteht dennoch. Um auf Nummer sicher zu gehen und alle Zweifel vorzubeugen, können sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer ein freiwilliges und optionales Statusfeststellungsverfahren einleiten.
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Optionales Statusfeststellungsverfahren
Ein optionales Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV kann von beiden Parteien entweder in schriftlicher oder in elektronischer Form eingeleitet werden. Die Beantragung folgt bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung. In diesem Statusverfahren wird festgestellt, ob es sich beim Status um eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit handelt. Das Verfahren gewährt Auftragnehmern und Auftraggebern Rechtssicherheit und schützt vor späteren Unstimmigkeiten und hohen Nachzahlungen.
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Die DRV entscheidet, ob eine Versicherungspflicht vorliegt oder nicht. Liegt ein Leistungsfall vor, ist auch die Agentur für Arbeit an die Entscheidung der Clearingstelle der DRV gebunden.
Das optionale Statusfeststellungsverfahren sollte im Zweifelsfall möglichst frühzeitig beantragt werden (z.B. ein Monat nach Zusammenarbeit) und kann nicht mehr angefordert werden, wenn bereits von zuständigen Stellen ein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet wurde.
Wie solltest du dich verhalten, um kein Risiko der Scheinselbstständigkeit einzugehen?
Im besten Fall besteht von Anfang an kein Zweifel an einer Selbstständigkeit ohne Abhängigkeiten, sodass auch das freiwillige Statusfeststellungsverfahren nicht nötig ist. Egal ob du selbstständig tätig bist oder die Perspektive des Auftraggebers übernimmst, diese Fragen solltest du stellen:
- Gibt es mehr als einen Auftraggeber, vor allem über einen längeren Zeitraum?
- Gibt es beim Auftragnehmer einen eigenen Unternehmensauftritt nach außen inkl. Werbung und Buchführung?
- Ist der Auftragnehmer frei von Weisungsgebundenheit?
- Werden Absprachen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer klar von internen Meetings abgegrenzt?
- Fand bisher keine Eingliederung des Auftragnehmers in den Betrieb statt?
- Kann der Auftragnehmer Arbeitsort und Zeitplanung frei bestimmen?
- Kann der Auftragnehmer seine Honorare selbst festlegen?
- Hat der Auftragnehmer eine eigene Betriebsstätte und Arbeitsmittel?
- Beschäftigt der Auftragsnehmer selbst Angestellte?
Wenn du all diese Fragen mit „ja“ beantworten kannst, ist das ein gutes Zeichen für eine tatsächliche selbstständige Arbeit. Um dich abzusichern – egal auf welcher Seite du stehst – kannst du dir einen Anwalt oder eine entsprechende Beratungsstelle suchen, um weitere Fragen zu klären.
Außerdem kannst du in dem Dienstvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer einige Kriterien aufnehmen, um dich abzusichern. Darin sollte geschrieben sein, dass der Auftragnehmer das finanzielle und unternehmerische Risiko sowie die Entscheidungsfreiheit selbst trägt und es keinerlei Weisungspflicht gibt. Hier kann zudem festgelegt werden, dass regelmäßig Nachweise über weitere Aufträge und Auftraggeber erbracht werden müssen.
Eine klare Kommunikation zwischen beiden Parteien ist unerlässlich, um die Gefahr der Scheinselbstständigkeit für beide Seite auszumerzen. Schließlich tragen beide die gleiche Verantwortung. Freelancer sollten sich mit eigenem Corporate Design, eigenem Auftreten nach außen, indem er eine Website erstellt, eigenen Arbeitsmitteln und klarer Aussage zu Honorar und Urlaubsplanung deutlich von Arbeitnehmern unterscheiden.
Wenn sich sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber an diese Vorgaben halten, ist die Zusammenarbeit ohne ein Risiko auf Scheinselbstständigkeit geebnet.
Lesetipp: Wie du in 9 Schritten eine Website erstellen kannst, kannst du in diesem Beitrag nachlesen.
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