Wer damals im Physik-Unterricht aufgepasst hat, weiß vielleicht heute noch, dass durch den Bernoulli-Effekt ein Unterdruck entsteht, wenn Gase mit hoher Geschwindigkeit an einem Objekt vorbeiströmen.
Diesen Effekt haben sich zwei Gründer aus Leipzig zu eigen gemacht. Mit ihrem Fluxbag (zu Deutsch “Strömungsbeutel”) haben sie ein Produkt auf den Markt gebracht, mit dem Luftmatratzen, Schwimminseln und Co. schnell aufgepumpt werden können. Mehr als einen kräftigen Atemstoß in den Beutel und den besagten physikalischen Effekt braucht es dafür nicht.
Wie es der Fluxbag vom Crowdfunding bei Kickstarter bis zu Die Höhle der Löwen schaffte und heute erfolgreich über Shopify und Amazon verkauft wird, verriet uns Gründer Jens Thiel im Interview.
Als ich damals beim Notar war, um die Unternehmensgesellschaft eintragen zu lassen, hätte ich nicht gedacht, dass ich mal im Luft-Geschäft lande!
Der erfolgreiche Onlineshop von Fluxbag
Mit eurem Unternehmen HILFE - Product & Innovation GmbH wollet ihr alltägliche Probleme lösen. Wie kam es zur Gründung und zum Fluxbag?
Ich und mein Geschäftspartner Lucas suchten im Sommer 2016 nach einer neuen Herausforderung. Ich war fast mein ganzes Leben lang im Entrepreneurship-Bereich unterwegs und vor allem im Online-Bereich tätig.
In meinem Leben war ich zusammengerechnet insgesamt circa ein Jahr angestellt.
Im Sommer 2016 wussten Lucas und ich noch nicht richtig, wie es mit uns weitergeht, weil wir beide eine schwere mentale Zeit hinter uns hatten. Lucas gab den Ansporn und meinte irgendwann “Komm lass uns etwas Neues machen, du weißt doch, wie’s geht!”. Aber diesmal wollten wir ein physisches Produkt, etwas zum Anfassen, was wir von Anfang an begleiten und komplett verstehen konnten.
Für uns war klar, dass wir nicht das tausendste Produkt herausbringen wollen, das es so oder ähnlich schon auf dem Markt gibt.
Lesetipp: Weitere Erfolgsgeschichten von Shopify-Händlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz findest du hier.
Wenn wir etwas Eigenes anpacken, dann muss es etwas sein, das ein Problem vieler Leute lösen kann.
Bei der Ideensuche erinnerte ich mich irgendwann an witzige Videos auf YouTube, die den Bernoulli-Effekt mit Müllbeutel bzw. Schläuchen erklärten. Das fand ich total faszinierend.
Daraufhin haben wir uns Schlauchfolie im Internet bestellt und versucht damit eine Luftmatratze aufzublasen. Das hat auch ganz gut funktioniert! Das war unser erster Prototyp und je weiter wir im Prototyping vorankamen, desto mehr waren wir von der Idee überzeugt.
Wir haben unser Vorhaben dann relativ schnell umgesetzt. Die Idee hatten wir Anfang Juni 2016, Mitte Juni hatten wir die ersten Prototypen und im August waren wir auch schon auf Kickstarter.
Super Video: So funktioniert der Fluxbag!
Warum habt ihr euch für Crowdfunding über Kickstarter entschieden?
Wir fanden Kickstarter aufgrund der internationalen Reichweite am relevantesten. Hier erreicht man einfach die meisten Leute. Für Crowdfunding an sich gab es für uns verschiedene Gründe. Zum einen wollten wir natürlich gern zu den erfolgreichen Kickstarter-Projekten gehören und Geld einwerben, um Details des Fluxbags fertig entwickeln zu können.
Man kann auf Kickstarter gut testen, was bei den Leuten ankommt.
Zum anderen kann man auf Kickstarter gut testen, wie die Idee bei anderen Leuten ankommt. Klar, Freunde und Familie stehen hinter dir, aber wie wird es von Leuten angenommen, die dich nicht persönlich kennen und denen du das Produkt nicht vorführen kannst? Man lernt hierbei viel über seine eigene Kommunikation, wie man die Kampagne weiter optimieren und das Produkt noch besser erklären kann.
Der dritte Grund, warum Crowdfunding mit Kickstarter so interessant ist, sind die Impulse, die wir von unseren Unterstützern erhalten haben.
Wir haben über Kickstarter Feedback bekommen, was wir noch anders und besser machen könnten. Das waren Dinge, die wir anfangs überhaupt nicht auf dem Schirm hatten.
Unsere Kickstarter-Kampagne und die positiven Kommentare darunter sind außerdem bis jetzt ein guter “Stempel”, der bei potentiellen Kunden Vertrauen schafft.
Lesetipp: Noch mehr Inspiration gefällig? In diesem Beitrag findest du eine Auswahl an tollen Kandidat:innen aus der Erfolgsshow Die Höhle der Löwen, die mit dem Shopsystem Shopify durchgestartet sind.
Wie habt ihr eure Kickstarter-Kampagne umgesetzt?
Unsere erste Kampagne ist durchgefallen! Wir waren in weniger als zwei Monaten mit unserem Produkt online auf Kickstarter, obwohl die meisten Leute sich wohl durchschnittlich 14 Monate darauf vorbereiten. Uns wurde damals von Kickstarter ein Coach aus Wien angeboten, aber wir waren zu der Zeit einfach schon live.
Wir haben damals nicht bedacht, dass wir von Anfang an eine starke Dynamik aufbauen müssen, um überhaupt Aufmerksamkeit auf der Plattform zu erhalten.
Ist die Kampagne neu, wird sie von einigen Leuten gesehen. Entweder geht sie dann direkt durch die Decke - oder sie geht unter.
Mit der Zeit nimmt die Aufmerksamkeit dann immer mehr ab. Wir haben bei der ersten Kampagne ein Funding-Ziel von 20.000€ gesetzt, das in sechs Wochen erreicht werden sollte. Wir waren allerdings immer weit von diesem Ziel entfernt und haben nach drei Wochen gemerkt, dass das nichts wird und wir abbrechen müssen.
Wir haben ein paar Sachen optimiert und alles noch einmal aufgesetzt. Die alten Backers haben wir alle angeschrieben und darüber informiert, dass wir noch einmal neu anfangen.
Für unsere Kampagne hatten wir außerdem ein Zero-Budget-Video erstellt, bei dem ein Freund von uns, der Medienkunst studiert, beim Schnitt geholfen hat. Heutzutage hat fast jeder ein iPhone und iMovie. Mehr braucht man eigentlich gar nicht.
Bei der zweiten Kampagne haben wir dann zusätzlich neue Dinge probiert, wie Facebook Ads, die allerdings nicht für uns funktioniert haben. Dafür waren Cross-Promotions innerhalb der Kickstarter-Plattform eine treibende Kraft.
Das war auch ein Lernerfahrung für uns – man muss die Leute direkt im Kickstarter-Ökosystem abholen und doppelte Konvertierungen vermeiden.
Beim Versuch, die Leute zuerst zu Kickstarter zu konvertieren und erst danach für dein Produkt zu überzeugen, geht viel Reichweite verloren. Deswegen waren Cross-Promotions mit anderen interessanten Projekten, die nah an unsere Zielgruppe waren, die treibende Kraft. Das hat die Kampagne am Laufen gehalten und am Ende erfolgreich gemacht.
Wir haben in den ersten Tagen der neuen Kampagne eine Dynamik erzeugt, die gereicht hat, um im Aufwärtstrend zu bleiben.
Das Funding-Ziel, das wir mit 5.000€ diesmal viel tiefer angesetzt hatten, wurde in drei Tagen erreicht. Wir haben dann noch weiter daran gearbeitet, auch auf Indiegogo nachgefasst und sind am Ende mit 30.000€ raus.
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Wie ging es nach dem Kickstartet-Projekt weiter?
Noch während des Kickstarter-Projekts hatte ich jemanden auf Xing gefunden, der Gleitschirme herstellt und sich mit unserem Thema und den Materialien auskennt. Er besaß wichtige Kontakte und Kenntnisse zum chinesischen Markt. Nach einem Treffen in Berlin, bekam ich den Kontakt zu seinem chinesischen Lieferanten. Kurz darauf sind wir nach China geflogen und haben alles vor Ort angeschaut. Zwei Monate später hatten wir schon unsere erste Lieferung mit 2500 Stück fertig. 2/3 ging davon direkt an die Kickstarter-Finanzierer und den Rest hatten wir auf Vorrat. Für uns war der Xing Kontakt sehr wertvoll.
Wie ein junges Berliner Unternehmen Produzenten in Asien fand um Produkte aus China zu verkaufen, steht hier.
Alibaba hätte es sicher auch getan, aber anfangs es ist besser jemanden zu kennen, der vertrauenswürdig ist und schon eine langjährige Geschäftsbeziehung mit dem Supplier hat.
Ihr versendet eure Produkte via Dropshipping. Warum habt ihr euch für diese Variante entschieden?
Wir waren damals recht spät dran mit der Lieferung an unsere Kickstarter-Unterstützer, deswegen haben wir uns dagegen entschieden erst alles auf ein Schiff zu packen, nach Deutschland senden zu lassen und dann wiederum zu verschicken. Wir haben uns DHL eCommerce als Logistikpartner in Hongkong genommen und zwei Tage später waren die Päckchen bereits in der Luftfracht.
Was Dropshipping ist und wie es funktioniert, steht hier.
Ich kann diese Vorgehensweise jedem empfehlen. Man mutet sich keine Dinge zu, die viel Zeit fressen und fehleranfällig sind. Teurer ist dieses Verfahren auch nicht. Wir haben für die Luftfracht Päckchen mit DHL eCommerce nicht viel mehr bezahlt, als wenn wir hier mit einem kleinen Großkundentarif zur Post gegangen wären.
Das ganze Shipping der 850 Sendungen hat mich dadurch gerade einmal zwei Stunden gekostet.
Lesetipp: In diesem Guide haben wir für dich zusammengestellt, wie mit AliExpress Dropshipping funktioniert.
Wann kam "Die Höhle der Löwen" bei eurem Unternehmen ins Spiel?
2017 wurden wir durch Facebook auf einen Open Casting Day aufmerksam. Ich habe eigentlich nicht besonders viel Freude daran mich im Fernsehen zu präsentieren, aber wir sind schließlich doch zum Casting gegangen. Der Redakteurin haben wir für die Probeaufnahmen etwas vorgefluxt und bereits dort die Einschätzung bekommen, dass wir mit unserem Produkt und unserer Art bestimmt für die Sendung genommen werden. So war es dann auch - Ende März haben wir in Köln gedreht.
Natürlich wird alles ein halbes Jahr vorher gedreht, um sicherstellen zu können, dass am Tag der Ausstrahlung genug Produkte auf Lager sind. Wir hatten noch etwa 1.000 Fluxbags - das wäre doch etwas knapp geworden. Wir haben vor der Sendung unsere eigene Lieferkette komplett neu aufgestellt und sind noch einmal nach China geflogen, um den neuen Produktionslauf zu organisieren.
Zu der Zeit lief bei uns noch Indiegogo InDemand als Nachsorgeprogramm bis wir unseren Shop fertig hatten. Unsere Shopify Webseite ging dann tatsächlich erst ein paar Tage vor Ausstrahlung der Sendung online.
Warum fiel die Entscheidung auf Shopify?
Shopify war das beste System für uns. Es ist gehostet, intuitiv, hat ein sehr smartes UX und man muss nicht endlos Handbücher wälzen, um das System zu verstehen. Außerdem besitzt es ein tolles Angebot an Add-Ons. Das, was man im Shopify nicht voreingestellt findet, gibt es als Add-On. Besonders wichtig war für uns auch die Skalierbarkeit. Wir hatten schon von anderen DHDL-Startups gelesen, dass das ein großer Punkt bei Shopify ist.
Man bekommt Shopify selbst unter so einem Löwen-Traffic nicht klein, egal welches Paket man nutzt.
Wir haben zwar CloudFlare vorgeschaltet, aber gebraucht hätten wir es eigentlich nicht. Das war sehr beeindruckend, dass Shopify diese Traffic Peaks einfach wegsteckt.
Ralf Dümmel ist am Ende den Deal mit euch eingegangen. Welche Erfahrungen habt ihr dadurch gemacht?
Wir müssen sagen, dass wir uns in der Sendung ziemlich angestellt haben und sehr krampfig waren. Das war Glück, dass Ralf trotzdem etwas von unserer Idee hielt und mit uns den Deal eingehen wollte.
Heute kann ich sagen, ich würde noch einmal bei DHDL mitmachen. Ralf Dümmel ist ein netter Kerl, ebenso wie die Leute in seinem Team. DS Produkte ist nicht an unserem Unternehmen beteiligt – aber finanziell war die Zusammenarbeit mit DS für uns dennoch recht erfolgreich, weil wir die Dinge selbst aktiv gestaltet haben.
Durch DS-Produkte und Ralf Dümmel kam der Fluxbag in den Einzelhandel. Soll es dort jetzt auch weitergehen?
Wir haben den Fluxbag bis Ende 2018 an DS lizenziert und sie haben diese Variante erfolgreich flächendeckend im Handel platzieren können – unsere Marge in einer solchen mehrstufigen Handelskette ist allerdings eher bescheiden.
Beim Vertrieb der Fluxbags aus unserer eigenen Produktion hat sich in den letzten Monaten herauskristallisiert, dass der Online-Direktabsatz viel Potential hat und wir so auch unsere Marke nachhaltiger aufbauen können. Ein innovatives und entsprechend erklärungsbedürftiges Produkt als Aktionsware einfach so wie Joghurt in den stationären Einzelhandel zu werfen ist eher keine so gute Idee.
Das Wiederverkäufer-Geschäft ist einfach sehr aufwendig und kann durchaus auch riskant sein.
Neben dem Shop und dem Einzelhandelsvertrieb verkauft ihr auch über Amazon. Welche Rolle spielt Amazon für Ihren Erfolg?
Amazon ist momentan ein sehr guter Verkaufskanal. Hier muss man keine Leute mehr konvertieren. Jeder hat einen Amazon Account und kauft alles Mögliche darüber. Wenn man nach etwas sucht, schaut man entweder bei Google oder direkt bei Amazon danach. Hier sind die Leute und die Sales.
Als FBA-Verkäufer (als “Fulfillment by Amazon”) sind wir gut aufgestellt. FBA halten wir für Unternehmer übrigens auch für die sinnvollste Option. Wir schicken für ein paar Euro die Kisten mit unseren Produkten an Amazon und wenige Tage später sind sie im Warenlager eingecheckt und verteilt zwischen den Logistikzentren. Natürlich lässt sich Amazon seine Fulfillment-Leistungen bezahlen – aber als Gründer hast du besseres zu tun als jeden Nachmittag Pakete zu packen.
Wenn man ein vernünftiges Listing hat und auf Amazon noch einige Maßnahmen durchzieht, hat man die Chance mit überschaubarem Aufwand wirklich signifikant Umsätze zu erzielen. Teilweise ist das weniger Aufwand als in unserem Online Shop, allerdings gibt es auch gewaltige Unterschiede in der Handhabung.
Shopify verstehst du sofort. Für das Amazon Seller Backend brauchst du eigentlich fast ein gesondertes Bachelor Studium!
Welche Märkte wolle ihr mit Fluxbag noch erschließen?
Da ist noch einiges zu tun! Wir sind dabei, auf Amazon wirksamer zu internationalisieren und auch andere Marktplätze wie eBay oder Lazada in Asien gehen wir an. Durch DHDL war es für uns relativ einfach in Deutschland Fuß zu fassen. Bei internationalen Märkten ist es um einiges mühsamer richtig in Fahrt zu kommen. Aber hier muss die Reise hingehen.
Stehen weitere innovative Produkte auf dem Plan?
Auf jeden Fall, das war ja von Anfang an der Plan! Momentan hat alles mit dem Thema “aufblasen” zu tun. Hier können wir die Fluxbag Marke und unsere Erfahrungen nutzen. Zum Ende des Jahres soll es etwas im Lichtbereich geben und für nächsten Sommer ist ein wunderbares Produkt geplant, mit dem das Leben am Strand noch viel schöner wird und das perfekt zum Fluxbag passt.
Könnt ihr abschließend potentiellen Kickstarter-Unternehmen letzte Tipps mitgeben?
Macht’s nicht so schnell, wie wir! Investiert etwas Zeit und Energie und auch ein bisschen Geld in eure Produktentwicklung, stellt mehr als eine Idee und ein paar lustige Renderings vor. Die Ansprüche der Kickstarter-Community sind deutlich gestiegen.
Stellt mehr vor, als einen Prototyp, den man nur aus einem Meter Entfernung zeigen kann.
Außerdem: träumt nicht von einer Millionen-Kampagne! Die wenigstens davon sind home grown und am Ende auch nicht zwingend profitabel für die Gründer. Allermeist steht da ein großes, externes Agentur-Team dahinter, das gut bezahlt werden will.
Aber vor allem - denkt international! Macht nicht nur eine Kampagne für den deutschen Markt.
Ansonsten: Legt einfach los!
Aufmacherfoto von Anne Schwerin.
Über die Autorin: Caroline Dohrmann ist Online-Marketing-Managerin und Content-Enthusiastin. Wenn sie nicht gerade Shopify-Händlern und Händlerinnen die besten Geheimtipps in Interviews entlockt, schreibt sie im Blog über die Shopify-Community, Social Media und was das Online-Marketing gerade bewegt.
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